Weltmeister mit Langweiler-Fußball? - Debatte um van Gaal

von Marcel Breuer | dpa16:26 Uhr | 02.12.2022
Bondscoach Louis Van Gaal lässt sich von Kritik nicht beeindrucken: Er will mit den Niederlanden Weltmeister werden.
Foto: Robert Michael/dpa

Als die deutsche Mannschaft sich gerade auf den Heimweg machte, musste sich Louis van Gaal mal wieder verteidigen. Zwar haben die Niederlande erwartungsgemäß das Achtelfinale der WM erreicht, in dem es am Samstag gegen die USA geht. Doch die Art und Weise entsprach so gar nicht den hohen Ansprüchen in der Heimat.

Zu uninspiriert, zu langweilig, weit weg vom spektakulären Totaalvoetbal. Van Gaal gibt sich bei seiner wohl letzten WM zwar weiterhin bestens gelaunt, doch die Kritik nervt ihn langsam. «Jeder kann seine eigene Meinung haben. Das gilt insbesondere für die Niederlande», sagte der Bondcoach knapp.

Selbst US-Coach Gregg Berhalter, einst selbst in den Niederlanden als Spieler aktiv, will das nicht begreifen. «Es ist schon lustig, dass es in den Niederlanden immer Kritik gibt. An allem. Ich erinnere mich an ein Spiel, da lagen wir gegen Ajax 0:1 zurück - und sie wurden gnadenlos ausgepfiffen», sagte der 49-Jährige.

«Wir gehen ruhig unseren Weg weiter»

Für van Gaal wiederholt sich die Geschichte. «2014 war es exakt dasselbe. Es war sehr negativ. Jetzt passiert es wieder. Ich bin daran gewöhnt und meine Spieler auch. Wir gehen ruhig unseren Weg weiter», betonte der 71-Jährige. Am Ende wurde Holland Dritter, verpasste das Finale gegen Deutschland erst im Elfmeterschießen.

Sieben Punkte und nur ein Gegentor in der Gruppenphase von Katar sprechen zwar für sich, doch die hakelige Offensive sorgt viele Oranje-Fans. Die Elftal schoss gegen Gegner wie Afrikameister Senegal, Ecuador und Asienmeister Katar nur fünf Tore, brachte in einer erschreckenden Vorstellung gegen Ecuador in 90 Minuten nur einen Schuss auf das Tor zustande.

Den Spielern ist die Kritik ebenso egal wie ihrem Chef. «Unterhaltungswert?», fragte Marten de Roon. Man wolle Weltmeister werden, betonte der Mittelfeld-Dauerläufer von Atalanta Bergamo. «Ich möchte sehr gern Weltmeister werden, ohne ein gutes Spiel gemacht zu haben. Natürlich will man immer gut spielen, jedes Spiel 5:0 gewinnen und Weltmeister werden. Aber das ist eben nicht immer der Fall.»

Erkenntnisse aus van Gaals langer Karriere

Durch die WM-Geschichte ist belegt, dass der schöne niederländische Fußball bisher nicht zum Titel gereicht hat. Selbst mit außergewöhnlichen Fußballern wie Johan Cruyff, Dennis Bergkamp und Arjen Robben wurde man am Ende maximal Zweiter.

Van Gaal will die große Bühne unbedingt mit dem Pokal verlassen. Die Art und Weise, wie er seine Mannschaft spielen lässt, ist dabei keine plötzliche Eingebung. Es geht vielmehr um die Erkenntnisse aus seiner langen Karriere. «Bei Ajax ging es nur um das Attackieren. Mit den Jahren denkt man über das Spiel nach und sieht die Risiken im Angriffsspiel. Ich habe dies auf meine Vision angewendet. Deshalb geht es weniger um die Offensive, sondern mehr ums gewinnen», sagte van Gaal. Man müsse als Trainer reflektieren, ob es sinnvoll sei, bedingungslos nach vorn zu spielen.

In Deutschland, Belgien oder Dänemark würden sie ein langweilig erreichtes Achtelfinale mit Kusshand nehmen. Van Gaal wäre unantastbar. Er ist nach Siegen der erfolgreichste Bondscoach der Geschichte. Seine Mannschaft hat die vergangenen 18 Spiele nicht verloren - van Gaals gesamte dritte Amtszeit. Doch für den elitären niederländischen Geschmack ist das offenbar nicht ausreichend.

Den Coach interessiert das wenig - sagt er zumindest. Und es gibt Beispiele, die ihm beipflichten. 2014 spielte Deutschland in der Gruppe Unentschieden gegen Ghana und hatte gegen die USA Probleme. Unvergessen bleibt das Achtelfinale gegen Algerien mit einem Sieg nach Verlängerung und Per Mertesackers Eistonnen-Rede. Vier Jahre später brauchte Frankreich gegen Australien ein Eigentor und gewann nur mit einem Tor gegen Peru. Letztlich wurden beide Teams Weltmeister.

Das will natürlich auch van Gaal. Vier Spiele habe man noch vor sich, betonte der frühere Bayern-Trainer. Und dann? Geht es vielleicht weiter. «Die Welt des Fußballs ist sehr opportunistisch. Man weiß also nie», sagte van Gaal und scherzte über ein mögliches Engagement in Belgien: «Belgien ist wunderbar. Knokke ist ein wunderbarer Küstenort. Natürlich denke ich darüber nach.» Dort gäbe es womöglich weniger Kritiker, mit denen er sich herumschlagen müsste.

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

Niederlande: 23 Noppert - 2 Timber, 4 van Dijk, 5 Aké - 22 Dumfries, 21 de Jong, 15 de Roon, 17 Blind - 8 Gakpo - 10 Depay, 18 Janssen

USA: 1 Turner - 2 Dest, 13 Ream, 3 Zimmerman, 5 Robinson - 4 Adams - 8 McKennie, 6 Musah - 21 Weah, 10 Pulisic - 19 Wright

Schiedsrichter: Wilton Sampaio (Brasilien)(dpa)



Tore zu schießen, ist wie Liebe machen. Jeder kann es tun, aber niemand tut es wie ich.

— Alfredo di Stéfano