Verspottet und beleidigt: Harry Maguires sonderbarer Weg

von Marcel Breuer | dpa11:14 Uhr | 07.12.2022
Englands Harry Maguire steht immer wieder für seine Spielweise in der Kritik.
Foto: Tom Weller/dpa

Wer Harry Maguire vor Beginn eines WM-Spiels die Nationalhymne «God Save the King» singen sieht, kann glatt Angst bekommen: Fast zwei Meter groß, über 90 Kilo schwer, ein Schrank von Kerl und dazu eine grimmig-düstere Miene. Wer Maguire danach als Innenverteidiger für die Three Lions spielen sieht, bekommt angesichts von Slapstick-Einlagen und tolpatschigen Fehlern oft Grund zum Lachen.

Vor dem WM-Showdown gegen Frankreich am Samstag (20 Uhr, ZDF/Magenta TV) ist genau das die Frage, die die seit 56 Jahren an Titellosigkeit leidenden Briten beschäftigt: Kann dieser Mann Superstar Kylian Mbappé & Co. stoppen?

Maguire zwischen Topform und Slapstick

Trainer Gareth Southgate hat sich in der Causa Maguire klar festgelegt. Er setzt fest auf den von Krisen geplagten Riesen und lässt ihn jedes Spiel beginnen.«Er hat einen riesigen Teil ausgemacht, dass wir zwei große Turnierperformances hingelegt haben. Wir wollen, dass er das zum dritten Mal tut», sagte Southgate über den 29 Jahre alten Defensivspieler von Manchester United. Dort ist er zwar eigentlich Kapitän, aber in dieser Saison ein Kapitän ohne Stammplatz. Denn eine besondere Häufung von Fehlern ließen Maguire im Herbst noch mehr als sonst zum Gespött im Fußball-Cosmos werden.

Wie sehr der Abwehrrecke öffentlich in der Kritik steht, belegen Aussagen des früheren Bundesliga-Stars Rafael van der Vaart, der im WM-Finale 2010 in der Schlussphase der Verlängerung eingewechselt wurde. Der Ex-HSV-Profi hat sich offenbar auf den in britischen Medien als «Tölpel» verrufenen Maguire eingeschossen, sagte einst: «Ich glaube, Maguire geht jeden Tag nach Hause und erzählt seiner Frau: 'Ich bin so schlecht beim Fußball, aber ich verdiene so viel. Sie glauben wirklich, dass ich gut bin'.» Spieler wie Maguire finde man «bei jedem Amateurclub in Holland».

Auch in den WM-Tagen von Doha profilierte sich van der Vaart in seiner Funktion als TV-Experte. Als er die Leistung von Deutschlands Innenverteidiger Niklas Süle einordnen sollte, sagte van der Vaart: «Süle ist nicht Weltklasse. Er ist der deutsche Harry Maguire.» Dabei ist Maguire, den selbst seriöse heimische Medien vor Monaten vehement nicht in Southgates WM-Team sehen wollten, zum idealen Zeitpunkt wieder in Topform gekommen.

Maguire und Dauerpartner John Stones sind das defensive Herzstück in einem 4-2-3-1, das Southgate in letzter Minute noch anstelle einer Dreierkette installierte, um dauerhaft einen Offensivmann mehr auf dem Rasen zu haben. Die Bilanz kann sich vor dem Viertelfinal-Kracher gegen Weltmeister Frankreich absolut sehen lassen: In vier WM-Spielen gegen Iran (6:2), USA (0:0), Wales (3:0) und Senegal (3:0) gab es nur zwei Gegentore, von den Viertelfinalisten ist nur Marokko besser. Und einer der beiden Gegentreffer fiel, als Maguire wegen Krankheitssymptomen zum Auftakt vorzeitig ausgewechselt werden musste.

Stones: «Er macht es sehr gut in diesem Turnier»

Inzwischen ist Maguire wieder fit - und teamintern nicht mehr wegzudenken. «Er hat die beste Antwort auf dem Platz gegeben. Wir haben diese Partnerschaft, wie wir sie immer hatten. Man muss ihm großen Respekt zollen. Er macht es sehr gut in diesem Turnier», sagte Nebenmann Stones. Das Duo erwartet am Samstag allerdings die bisher größte Prüfung, wenn die Franzosen mit ihrer brillanten Offensive um Mbappé, Antoine Griezmann und Olivier Giroud Gegner sind.

Wie kommt Maguire selbst mit den Schmähungen klar? Offensichtlich gut. «Ich habe einen großen Glauben an mich selbst.» Das strahlt der Führungsspieler in den WM-Tagen von Katar auch aus. «Natürlich mag es niemand, kritisiert zu werden, aber ich denke, das ist Teil dieses Spiels.» In großen K.o.-Spielen beschränkt sich Maguire aber nicht auf das Verteidigen als Kernaufgabe, sondern schaltet sich auch gerne bei Standards ein. Bei der WM 2018 traf er gegen Schweden, bei der EM 2021 gegen die Ukraine, jeweils im Viertelfinale und per Kopf. Am Samstag steht diese Lieblingsrunde Maguires mal wieder an.(dpa)



Die ganzen Idioten, die ganzen Kritiker, die meinen, sie hätten den Fußball erfunden, die können mich mal.

— Heiko Westermann