DFB-Team schuftet im «Fort Knox»

von Marcel Breuer | dpa13:53 Uhr | 20.11.2022
Serge Gnabry spricht bei der Pressekonferenz im DFB-Medienzentrum.
Foto: Federico Gambarini/dpa

Laut schrillen die zwei kurzen Pfiffe aus Hansi Flicks roter Trillerpfeife durch die deutsche Trainingstrutzburg in Al-Shamal. Die Anweisungen des Bundestrainers hallen von den dicken Backsteinwänden, die den aufkommenden Wüstensturm abhalten, zurück.

Im von Oliver Bierhoff zum «Fort Knox» erkorenen Übungsareal mit den vier markanten roten Türmen wird geschuftet. Flick ist fokussiert, hat in den Titel-Modus geschaltet und redet mehrmals auf seine um ihn im Kreis versammelten Spieler ein. Die Turbo-Vorbereitung der Fußball-Nationalmannschaft auf den WM-Start gegen Japan läuft.

Gnabry: «Wir alle sind einen Ticken angespannt»

«Wir alle sind einen Ticken angespannt. Wir können es kaum erwarten, dass die WM losgeht», sagte Bayern-Angreifer Serge Gnabry. Manuel Neuer hat die ungewöhnliche Situation vor seiner vierten WM-Endrunde längst erkannt. «Es ist natürlich etwas Besonderes, es sind andere Umstände, weil die Vorbereitung sehr kurz ist», mahnte der DFB-Kapitän volle Konzentration an. Die nur 100 Stunden zwischen erstem Teamtraining in Katar und dem Anpfiff am Mittwoch (14.00 Uhr/ARD und MagentaTV) im Chalifa International Stadium von Doha zerrinnen förmlich wie Wüstensand zwischen den Händen.

Neuers Ansage ist eindeutig. Jetzt darf nur noch Fußball gespürt, gelebt und gedacht werden. So kann der Zeit-Nachteil, der für alle Turnierfavoriten gleichermaßen gilt, aber für die deutschen Turniertugenden besonders abträglich ist, kompensiert werden. «Wichtig wird sein, dass wir viel miteinander reden. Gerade die Zeit, die wir jetzt nicht haben, um Sondertrainingseinheiten zu absolvieren, müssen wir zum Beispiel beim Essen miteinander über Fußball sprechen», forderte der 36-Jährige, der in Katar zum WM-Rekordtorwart werden will. 

Bierhoff «nicht der Turnierfavorit»

Auch Oliver Bierhoff mahnte einen konzentrierten Countdown auf das enorm komplizierte Auftaktspiel gegen Asiens Rekordchampion an. Alle wissen: Schon durch ein Remis gegen die schnellen und unbequemen Japaner würde der Druck für das vier Tage später folgende Gruppentopspiel gegen Spanien enorm anwachsen. 

«Für uns könnte es ein Nachteil sein, dass wir nicht zwei, drei Wochen Vorbereitung haben», sinnierte DFB-Direktor Bierhoff. «Die deutsche Mannschaft hat immer von der Gruppe gelebt und nicht von dem Individuum. Das ist für uns jetzt auch wichtig, trotz der Qualität der einzelnen Spieler, die wir haben», sagte der 54-Jährige.

Die deutsche Mannschaft ist für Bierhoff «nicht der Turnierfavorit», aber ein Kandidat für den Titelgewinn. Themen abseits des Sports, wie die Debatte um die One-Love-Kapitänsbinde von Neuer oder das Bierverbot der katarischen Gastgeber für Fans in den Stadien, dürfen nicht ablenken. Am Sonntagabend stand noch ein gesellschaftspolitischer Termin an. Im Stadion des Al-Shamal Sports Club sollte mit 20 jungen Frauen aus der Region gekickt werden. Die FIFA organisiert so eine Good-Will-Aktion für alle 32 WM-Teams. 

Den Fokus verschieben darf das nicht. «Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass das ein harter Kampf sein wird. Es wird keine Zauberei sein», lautete Bierhoffs WM-Prophezeiung. «Wir sind gewarnt, von der ersten Minute an voll fokussiert zu sein. Dann ist mit der Mannschaft alles möglich», sagte er. Das Debakel in Russland vor vier Jahren mit dem historischen Vorrundenaus sitzt noch in den Hinterköpfen. 

Neuer: Bei Erfolg «in einem Flow» kommen

Auch Gnabry machte nochmals klar, wie wichtig ein guter Start ist und erinnerte an die Sieben-Titel-Serie mit Flick vor nicht langer Zeit beim FC Bayern. «Das Ganze kommt durch die Erfolgserlebnisse, durch die guten Spiele, durch die Siege, wo dann dieser Spirit und der Erfolgshunger wachsen kann», sagte der Münchner Angreifer.

Wie wichtig ein erfolgreicher Turnierstart für die DFB-Elf ist, machte auch der 36 Jahre alte Teamsenior Neuer klar. Bei einem Erfolg könne man «in einen Flow» kommen, wie beim 4:0 gegen Portugal vor dem Titelgewinn 2014 in Brasilien. Das Gegenbeispiel sei das 0:1 gegen Mexiko vor vier Jahren in Russland gewesen. 

Positive Signale gaben Thomas Müller und Antonio Rüdiger. Die zuletzt verletzt pausierenden Leistungsträger konnten das erste Mannschaftstraining voll absolvieren. Konkrete Prognosen waren nach der ersten großen Belastung schwierig. Wochenlang hatten der Bayern-Routinier und der Real-Abwehrhüne wegen muskulärer Probleme und Hüftbeschwerden nicht spielen können. Für Flick sind sie entscheidende WM-Bausteine. 

Gnabry erlebt seinen Münchner Teamkollegen Müller, der wie Neuer seine vierte WM spielen will, schon in Turnierverfassung. «Er ist voller Ehrgeiz, voller Anspannung und Vorfreude. Bei ihm merkt man das einen Ticken mehr, weil er dann noch mehr redet. Er freut sich, er hat in den letzten Wochen alles getan und sehr hart gearbeitet, um wieder in Topform zu kommen.» 

Ist Müller fit, könnte er die nach dem Ausfall von Leipzigs Timo Werner vakante Stelle im Sturmzentrum ausfüllen, zumal Niclas Füllkrug nach seinem Siegtor im Oman erstmal wegen eines grippalen Infekts mit dem Training aussetzen musste. Gnabry spielt lieber dahinter, zentral oder über den Flügel, wie er am Sonntag betonte. 

Bierhoff sieht für Flick alle Möglichkeiten bei der Aufstellung im Chalifa International Stadium. «Es wäre schlimm, wenn Hansi keine Optionen hätte, das würde mir eher Kopfzerbrechen bereiten», sagte Bierhoff. Den Kern der Startelf habe der Bundestrainer schon im Kopf.(dpa)



Jeder, der aktuell ein Feuerwerk erwartet, hat eine falsche Erwartungshaltung.

— Trainer Sebastian Hoeneß nach Hoffenheims trostlosem 0:0 gegen Arminia Bielefeld.