Löw wird gehen: Ende einer Ära und viele Fragezeichen

von Marcel Breuer | dpa12:37 Uhr | 10.03.2021
Macht nach der EM 2021 Schluss beim DFB: Joachim Löw. Foto: Marius Becker/dpa
Foto: Marius Becker

Für den deutschen Fußball ist es eine Zäsur. Als Joachim Löw 2006 Bundestrainer wurde, spielten die meisten seiner aktuellen Nationalspieler noch in der D-Jugend.

Der 61-Jährige prägte eine Epoche, die lange von großen Erfolgen bestimmt war. Sein Nachfolger wird den Orbit Nationalmannschaft neu sortieren müssen.

Was bewegte Löw jetzt zur Rücktrittsankündigung?

Als der Druck nach dem 0:6-Desaster gegen Spanien riesig war, wies Löw alle Rücktrittsforderungen zurück. Wie schon nach dem WM-Debakel 2018. Noch in der vergangenen Woche vermittelte er in Interviews den Eindruck, den Umbruch auch nach der EM weitergestalten zu wollen. Ganz überraschend ist der Abschied aber nicht. Löws Maxime war immer das total autonome Handeln. Das ist ihm abhanden gekommen. Jeder weitere Rückschlag hätte an seinem Renommee und seinem Ego gekratzt. Ein Getriebener kann Löw nicht sein. Er hat wohl erkannt, dass die Zeit vorüber ist. Am Donnerstag bei der Pressekonferenz wird die Frage nach dem Warum öffentlich zu beantworten sein.

Wird er zur «lame duck», einem Bundestrainer auf Abruf und ohne Autorität?


Die Annahme ist plausibel, dass ein Trainer auf Zeit nicht ernst genommen wird. Bei Löw ist aber eventuell das Gegenteil der Fall. Öffentlich ist er nicht mehr angreifbar, da er mit seinen Meriten einen ehrenvollen Abschied verdient hat. Das ist Common sense. Alle Entscheidungen, die er jetzt trifft, kann er auf das eine, letzte große Event ausrichten. Und seine Spieler von Manuel Neuer, Toni Kroos bis Joshua Kimmich folgen ihm ohnehin - alle haben ihm viel zu verdanken.

Was passiert, wenn die drei März-Länderspiele eine Enttäuschung werden?

Die März-Kontrahenten haben alle ein Kaliber, mit dem die DFB-Elf zuletzt keine Probleme hatte. Man stelle sich aber vor, die Spiele gegen Island, Rumänien und Nordmazedonien gehen in die Hose. Womöglich sogar in spanischen Ausmaßen. Dann dürfte es sicher eine knallharte Diskussion geben, ob Löw nicht besser gleich gehen muss. Dass die DFB-Führung aber vor dem Turnier den Ex-Weltmeister-Trainer fallen lässt, ist unwahrscheinlich. Eine Notlösung brächte auch keine Garantie für einen EM-Erfolg. Der noch zu findende Dauer-Nachfolger hätte bis zum Turnier auch wenig Zeit. Löw sollte sein Abschiedsturnier bekommen.

Was bedeutet die Ankündigung für Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng?

Auch hier gibt es viel Interpretationsspielraum. Löw muss sich an den Umbruchplan nicht mehr halten. Den Neuaufbau muss nun sein Nachfolger weiter organisieren. Er muss nur noch auf die EM schauen und kann die sportlich vielversprechendste Mannschaft berufen. Ein Plus für Müller, eventuell auch für Hummels. Boateng schien ohnehin kein Kandidat mehr zu sein. Andererseits muss sich Löw auch keinen Zwängen oder öffentlichem Druck mehr unterwerfen. Dieses Turnier ist sein Abschluss. Er entscheidet. Und reinreden lassen hat er sich noch nie, schon gar nicht bei Personalfragen.

Welche Nachfolger kommen infrage?

Jürgen Klopp (53), der Wunschkandidat vieler Fans, winkte direkt ab. «Ich werde in oder nach diesem Sommer nicht als möglicher Bundestrainer zur Verfügung stehen», sagte der Trainer des FC Liverpool und verwies auf seinen Vertrag. Möglicherweise ändert sich die Situation aber. Liverpool steckt tief in der Krise, Klopps vorzeitiger Abschied scheint nicht ausgeschlossen. Neben Klopp werden insbesondere Ralf Rangnick (62) und Hansi Flick (56) gehandelt, wobei Flick beim FC Bayern bis 2023 gebunden ist. Und ob sich die Münchner auf Trainersuche begeben wollen? Rangnick wäre verfügbar und hielt sich am Dienstag komplett zurück. Dass er wollen würde, ist ein offenes Geheimnis. Ob eine Zusammenarbeit von Rangnick und DFB-Direktor Oliver Bierhoff funktionieren würde, ist fraglich.

Wer sucht und bestimmt den Bundestrainer? 


Seit 2018 ist Bierhoff «Direktor Nationalmannschaften und Akademie». Die konkrete Suche obliegt damit ihm. Das ist durchaus pikant. Der Ex-Nationalstürmer dürfte kaum einen Kandidaten präferieren, der in seinen Autoritätsbereich des Managements und der Konzeptentwicklung eingreifen will. Die letzte Entscheidung muss laut DFB-Statuten das Präsidium absegnen und der kleinere Präsidialausschuss. Beide Gremien haben in den vergangenen Monaten durch den Streit zwischen Präsident Fritz Keller und Generalsekretär Friedrich Curtius an Glaubwürdigkeit verloren. Mitte der Nullerjahre - nach Rudi Völler und vor Jürgen Klinsmann - gab es eine «Trainerfindungskommission». So kompliziert sollte das Verfahren diesmal nicht werden.

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(dpa)



Wir sind doch schon wieder abgestiegen worden.

— Lorenz-Günther Köstner