Aus der Serie „Pariser Leben“ – Sechs Jahre vor der ersten FIFA-Weltmeisterschaft 1930 holte Uruguay in Paris 1924 olympisches Gold. Und das mit dem Superstar der „Roaring Twenties“, José Leandro Andrade († 1957).
José Andrade
•Mittelfeld•Uruguay
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Monsieur Andrade – so kündigte ein Dienstmädchen in einem feudalen Haus in Paris in der Nähe des Triumphbogens den prominenten Hausbewohner an. Es war José Leandro Andrade (damals 22), der nach dem Olympia-Triumph von Paris von den Funktionären beim Sieger aus Uruguay verzweifelt gesucht wurde. Immerhin wollte die Olympia-Auswahl der „Celeste“ wieder nach Südamerika zurückkehren.
Zwischen dem Final-Sieg Uruguays gegen die Schweiz (3:0) im Stade de Colombes von Paris (auch WM-Finalstadion 1938) und der Medaillenvergabe lagen vier Wochen. Diese nutzte insbesondere Andrade, den sie in Uruguay „La Marvilla Negra“ (Dt.: Das schwarze Wunder) nannten, zum Müßiggang.
Oder anders: Die Sendung „Pariser Leben“ entfiel nicht, sondern es gab mehrere Folgen. Die Spieler wurden im Moulin Rouge gesichtet, Andrade in der besagten Villa einer reichen Dame. Nur eine von vielen Affären des lebenslustigen Fußballstars, der für seine artistischen Einlagen wie Fallrückzieher und Scherenschlag bekannt war, als damals bester Techniker Südamerikas galt, und dem man auch ein Abenteuer mit der legendären Tänzerin Josephine Baker († 1975) nachsagte.
Am 31. Juli 1924 kehrte Andrade mit der „Celeste“ schließlich nach Montevideo zurück.
Mit dem ersten WM-Finale am 30. Juli 1930, Uruguay gegen Argentinien (4:2) in Montevideo, und dem ersten Weltmeister-Titel für die „Celeste“ beendete Andrade seine Nationalmannschafts-Karriere.
Als Vereinsfußballer sah man ihn zuletzt 1937 bei den Montevideo Wanderers. Der deutsche Journalist Fritz Hack († 1991), selbst Halbprofi bei 1860 München, spürte den Lebemann 1956 in einem Armenhaus in Montevideo auf. Inzwischen völlig verarmt und erblindet, hatte Andrade alle seine Siegermedaillen, auch die Goldmedaille von Paris 1924, verkaufen müssen. Wieder in Frankreich, lebte er als Bettler auf den Straßen von Paris, starb im Oktober 1957.
„Eine vergessene Gestalt aus ferner Fußballzeit, von deren Kunst nur ein paar unscharfe Standbilder und einige schwärmerische Beschreibungen übrig geblieben sind“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Nachruf über den Weltmeister von 1930.
Er wird nie Kopfweh bekommen, weil er seinen Kopf nie zum Denken benutzen wird. Ehe er Nationalspieler wird, werde ich Sänger an der Metropolitan Opera.
— Max Merkel über Rüdiger Abramczik