Regenbogen-Kapitänsbinden, Kniefälle und Debatten um symbolträchtig beleuchtete Stadien - die EM setzt gesellschaftspolitische Signale.
Dienstag, 29.06.2021
Ob dieser Paradigmenwechsel im Fußball auch bis in die Wurzeln etwas verändert, müssen vor allem Verbände wie die UEFA erst noch beweisen. Dem Vorwurf von öffentlichkeitswirksamen PR-Aktionen bleiben sie - bei so manchem guten Willen - ausgesetzt. Gerade in Zeiten von Social Media, wo ein Regenbogen-Tweet so häufig und einfach abzusetzen ist wie ein Querpass auf dem Rasen.
Rassismus-Experte Gerd Wagner fordert deshalb Konsequenzen auch im Fußball-Alltag. «Es ist wichtig, dass da nachhaltig etwas passiert. Nutzen die Verbände nur die internationale Bühne – oder wird das Anliegen bis auf die unteren Ligen im Amateurfußball runtergebrochen?», sagte der 62-Jährige von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) in Frankfurt am Main der Deutschen Presse-Agentur.
Kane will Neuer folgen
Nationalmannschaftskapitän Manuel Neuer hatte vor dem Achtelfinale am Dienstag gegen England angekündigt, dass die deutsche Mannschaft vor dem Anpfiff niederknien und damit ein Zeichen gegen Rassismus setzen wird. Diese Geste hatten bei der EM schon mehrere Mannschaften vollzogen - so auch alle Akteure beim Spiel Belgiens gegen Portugal (1:0). Bayern-Profi Neuer hat zudem mit dem Tragen der Kapitänsbinde in Regenbogenfarben ein Zeichen gesetzt, Englands Kapitän Harry Kane wollte am Dienstagabend folgen.
«Es gibt dadurch eine hohe Sensibilität und Aufmerksamkeit für das Thema. Ich halte auch das Verhalten der Spieler für glaubwürdig», sagte KOS-Vertreter Wagner. Nach Ansicht Wagners sollte im Alltag nach der EM der Dreistufenplan des Deutschen Fußball-Bundes konsequent angewandt werden, «damit sich der Kampf gegen Rassismus wie eine rote Linie durchzieht». Er sei sich nicht sicher, ob dieser bei den Amateurvereinen so bekannt sei.
Den Dreistufenplan mit Spielabbruch als letztem Schritt hat der DFB entwickelt, um bei diskriminierenden Vorfällen einschreiten zu können. Gerade in den Kreisligen abseits der großen Öffentlichkeit kommt es immer wieder zu homophoben und rassistischen Äußerungen.
«Kniefall des DFB-Teams ist eine richtige Geste»
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) begrüßte die geplante Aktion der Mannschaft von Joachim Löw. «Der Kniefall des DFB-Teams ist eine richtige Geste», sagte Sprecher Tahir Della dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er forderte, dass im Fußball mehr gegen Rassismus getan werden müsse. «Der Kniefall darf aber keine symbolische Geste bleiben», warnte er und forderte, Strukturen im Fußball stärker auf Rassismus zu überprüfen.
Der Kniefall - im Fußball vor allem bekannt aus der englischen Premier League - war nach dem gewaltsamen Tod des US-Amerikaners George Floyd von immer mehr Sportlern vor Spielen oder bei Toren und Erfolgen gezeigt worden.
Kritik an UEFA
Kritisch sieht nicht nur Wagner die Rolle der Europäischen Fußball-Union in der ganzen Entwicklung. «Das Verhalten der UEFA bei dieser EM bringt das Ganze etwas ein Schieflage. Die Entscheidung, das Münchner Stadion beim Spiel Deutschland gegen Ungarn nicht in Regenbogenfarben erleuchten zu lassen, ist einfach nicht nachzuvollziehen und unterstreicht nicht deren Glaubwürdigkeit», sagte der KOS-Vertreter. Er sei sehr gespannt, «wie die UEFA auf das Fehlverhalten der ungarischen Fans in Budapest mit homophoben Gesängen reagiert, was das nach sich zieht. Daran muss sich die UEFA messen lassen, wie ernst sie das Thema nimmt».
Die UEFA hatte für ihr Verbot für die von der Stadt angeregte Aktion mit dem Münchner Stadion in Regenbogenfarben internationale Proteste aus Politik, Gesellschaft und Sport erhalten. Paradoxerweise lobte die Dachorganisation dann die Regenbogen-Werbung einiger Sponsoren auf Werbebanden während der Spiele. Es stünde jedem Partner frei, «eine Botschaft der Toleranz und Gleichstellung zu übermitteln». Die Regenbogenfarben gelten als Zeichen für Toleranz und sexuelle sowie geschlechtliche Vielfalt.
ProFans sieht Aktionen zwiespältig
Die Aktionen gegen Rassismus bei der EM sieht auch Sig Zelt, Sprecher der Organisation ProFans, durchaus zwiespältig. «Grundsätzlich ist es gut und schön, dass so etwas möglich ist, und natürlich ist das ein positives Zeichen», sagte Zelt. Er wies aber auch darauf hin, dass Trainer und Offizielle bei solchen Anlässen immer explizit betonen, dass dies von der Mannschaft ausgehe. «Das lässt deutlich Raum für Zweifel an der Authentizität. Man weiß ja, wie durchgedacht die öffentlichen Äußerungen von Marketingabteilungen wie beim DFB sind», erklärte der Fanvertreter aus Berlin.
Der italienische Fußball-Verband will in der Debatte um einen möglichen Kniefall der Mannschaft vor dem EM-Viertelfinale am Freitag in München gegen Belgien die letzte Entscheidung den Spielern überlassen. Nach Ansicht des Verbandes stellt «die Auferlegung eines bestimmten Verhaltens eine Form des Machtmissbrauchs» dar. Im letzten EM-Vorrundenspiel der Azzurri gegen Wales hatten sich fünf Spieler dem Kniefall des Gegners angeschlossen, die übrigen nicht. Dieses uneinheitliche Verhalten hatte für Kritik in Italien gesorgt.
Neuer: «Mehr Einfluss, etwas zu bewegen»
DFB-Kapitän Neuer ist stolz darauf, mit seiner bunten Kapitänsbinde ein Zeichen gesetzt zu haben. «Es war in der Vergangenheit oft so, dass wir uns politisch nicht so positioniert haben und stattdessen den Richtlinien, wie es immer gewesen ist, gefolgt sind. Jetzt hat - auch dank der sozialen Medien - jeder Einzelne mehr Einfluss, etwas zu bewegen», sagte der 35-Jährige.
Engagement gegen gesellschaftliche Missstände haben Bundesliga-Profis aber auch schon in der Vergangenheit gezeigt. Im Juni 2020 bekundeten die Spieler von Borussia Dortmund ihre Solidarität mit dem Afroamerikaner George Floyd, der infolge eines brutalen Polizeieinsatzes in den USA starb, und knieten in Herzform auf dem Trainingsplatz nieder. Hertha BSC erhielt 2017 öffentliche Kritik an seiner Kniefall-Aktion vor dem Bundesliga-Spiel gegen Schalke 04. Der Vorwurf in sozialen Netzwerken und in Kommentaren schon damals lautete: Effekthascherei und PR-Gag.
© dpa-infocom, dpa:210629-99-188355/2
(dpa)
Ganz sicher habe ich mich in keinem Kollegen so getäuscht wie in ihm.
— Hertha-Manager Michael Preetz über Ex-Coach Jürgen Klinsmann.