15 Jahre Bundestrainer Löw: Der Job seines Lebens

von Marcel Breuer | dpa11:48 Uhr | 29.06.2021
Die Europameisterschaft ist für Joachim Löw (M) das letzte Turnier als Bundestrainer. Foto: Federico Gambarini/dpa
Foto: Federico Gambarini

Wembley, Turnier, Alles-oder-nichts-Spiele: Am Vorabend des EM-Achtelfinales saß Joachim Löw im Londoner Teamhotel und redete über den Fußball-Klassiker England gegen Deutschland.

Wer verstehen will, warum der Bundestrainer-Posten für den 61 Jahre alten Löw der Job seines Lebens ist, der musste zu dieser späten Stunde nur gut zuhören. Alles kulminierte in einem Satz mit sechs Wörtern, den Löw irgendwann aussprach: «Für solche Spiele ist man Trainer!»

15 Jahre Bundestrainer. Das ist im hektischen, aufgeregten Fußball-Business selbst auf Verbandsebene mehr als eine Ewigkeit. Das kann nur funktionieren, wenn die Erfolgsquote über viele Jahre stimmt - und wenn der Trainer in der Aufgabe seine Erfüllung findet. Und einen Arbeitgeber dahin trimmt, ihn einfach nur machen zu lassen.

Es gibt Vereinstrainer. Und es gibt Nationaltrainer. Nur auf den ersten Blick ist es derselbe Job. Der von Perfektion besessene Pep Guardiola oder der von den Fans geliebte Emotionsbolzen Jürgen Klopp leben sich übers Jahr im stressigen Drei-Tage-Spielrhythmus aus. Bei Löw oder dessen französischem Weltmeister-Nachfolger Didier Deschamps sind es die Turniere, die sie in der Regel alle zwei Jahre an ihre Belastungs- und Leistungsgrenze treiben, ihnen den «Kick geben». So hat es Löw mal gesagt, er nennt sich gern selbst Turniertrainer.

«In meiner eigenen Welt»

Die drei WM-Endrunden (2010, 2014, 2018) und vier EM-Events (2008, 2012, 2016, 2021) sind darum «die Highlights» seiner Karriere. «Das ist ein Spiel, das alle elektrisiert und fesselt», schwärmte er 24 Stunden vor dem Anpfiff in Wembley gegen England. Auf dem Platz, auf den Tribünen, vor den Fernsehern und auch in seiner Coaching Zone geht es dann richtig ab. Wer am Montagabend miterlebte, wie die kleine Schweiz den Topfavoriten Frankreich in einem Fußball-Krimi besiegte, der versteht, warum Turniere das größte Spektakel sind.

«Bei einem Turnier bin ich in meiner eigenen Welt, in meinem Tunnel», bemerkte Löw. Es beginnt für ihn nicht mit dem ersten Spiel, auch nicht mit dem Trainingslager. «Vor einem Turnier bin ich praktisch schon ein halbes Jahr davor nirgendwo anders mit den Gedanken als beim Fußball», sagte er vor dieser EM, seinem letzten großen Turnier als Chef der Nationalmannschaft.

Hansi Flick übernimmt danach, Löws ehemaliger Assistent. Auch der 56-Jährige ist ein Turnierliebhaber, er führte den FC Bayern 2020 bei der Finalrunde in Lissabon zum Champions-League-Triumph. Er verließ die Bayern vorzeitig, Löws Job soll auch der seines Lebens werden.

Löw liebt den Nervenkitzel der Alles-oder-nichts-Spiele, auch wenn er unten am Spielfeldrand beim Coaching unter Druck bisweilen einen fast hilflosen Eindruck vermittelt. Löw war immer mehr ein Entwickler, ein Trainer, der einen Masterplan entwirft. Der Weg war oft das Ziel.

Bis zum WM-Triumph 2014 in Brasilien war es ein langer und auch mühevoller Ritt. Danach wurde es holpriger. Trotzdem spricht sein ewiger Wegbegleiter und DFB-Direktor Oliver Bierhoff «von einer Erfolgsgeschichte dieses Trainers». Sepp Herberger, Helmut Schön, Franz Beckenbauer, Löw - in dieser Weltmeister-Riege steht er.

«Er ist ein wundervoller Mensch»

Löw war in Deutschland, der Türkei und Österreich Vereinstrainer. Aber im Bundestrainer-Amt konnte er sich ausleben. In den zeitlichen Freiräumen zwischen den Länderspielen tauchte er wochenlang ab. Am liebsten saß er bei Bundesligaspielen im heimischen und vor allem beschaulichen Freiburg im Stadion. Rote Teppiche mied Löw, Talkshows ebenso, nur für die «Bambi»-Verleihung machte er Ausnahmen. Der ewige «Bundes-Jogi» ist den Menschen im Lande irgendwie fremd geblieben.

Dabei ist der Mensch Löw ein Grund, warum es so lange so gut mit ihm, seinem Stab und dem Team passte. Bei den Spielern hört man zum Ende der Ära oft eine Verbundenheit heraus. So sagte der Dortmunder Emre Can, als er über den Trainer Löw sprechen sollte: «Was für mich noch wichtiger ist, ist, wie er als Mensch ist. Er ist ein wundervoller Mensch, respektvoll gegenüber jedem. Ich bin ihm dankbar.»

Solche Aussagen sind selten im Profi-Fußball. Als Trainer wirkt Löw ja bisweilen stur, entscheidungsschwach, mindestens eigenwillig. Und seit dem WM-Desaster 2018 wirkt der 61-Jährige auch ein wenig aus der Zeit gefallen. «Erstmal freue ich mich auf die Zeit, die nach der EM kommt. Da kann ich mich auch mal wieder anderen Dingen in meinem Leben widmen», sagte er vor dem Turnierbeginn zur DFB-Rente. Wenn der Druck abgefallen ist, werde «vielleicht auch mal eine gewisse Leere kommen». Den Job des Lebens gibt es nur einmal, egal, ob Löw nochmal ein Trainer-Comeback gibt.




Die Derby-Fans gehen geknickt in ihren Autos nach Hause.

— Alan Brazil