Selbstkritischer Alonso: «Werden viel lernen. Vor allem ich»

von Marcel Breuer | dpa12:23 Uhr | 23.05.2024
Leverkusens Trainer Xabi Alonso war nach der Finalniederlage natürlich enttäuscht.
Foto: Jan Woitas/dpa

Dafür, dass sie keinerlei Übung mehr darin hatten, waren die Meister von Bayer Leverkusen erstaunlich gute Verlierer. Und Trainer Xabi Alonso ging auch bei der Selbstkritik voran. «Wir haben alle nicht unsere beste Leistung gebracht. Alle, inklusive mir», sagte der Spanier nach dem 0:3 (0:2) gegen Atalanta Bergamo, der ersten Pflichtspiel-Niederlage der Saison zum ungünstigen Zeitpunkt im Finale der Europa League: «Wir werden vieles aus dieser Niederlage lernen. In erster Linie ich.»

69 Stunden vor Anpfiff des DFB-Pokalfinales gegen den 1. FC Kaiserslautern am Samstag in Berlin herrschte die pure Ernüchterung bei den bis dahin Unbesiegbaren. Bei der Ehrung des Gegners starrten viele mit leerem Blick in den Nachthimmel von Dublin. Manch einer hatte die Silber-Medaille abgenommen. In der Kabine herrschte danach Stille. «Heute war einfach ein beschissener Tag», sagte Nationalspieler Robert Andrich.

Dennoch gab es vom deutschen Fußball-Meister faire Gesten, Lob und Applaus für den Gegner sowie Selbstkritik statt Ausreden oder Verschwörungs-Theorien. Und es war eine fast schon übertriebene Selbstkasteiung des früheren Weltmeisters, Europameisters und heutigen Meister-Machers Alonso.

Spezielle Finaltaktik

Doch man musste auch feststellen: Hatte der Coach in dieser historisch-wunderbaren Saison nach all seinen Schachzügen die Argumente stets auf seiner Seite, so war seine Taktik zumindest zu hinterfragen. Die Maßnahmen, den aggressiven Nationalspieler Robert Andrich im Zentrum fast 70 Minuten auf der Bank zu lassen und dazu noch ohne echten Zielspieler im Sturm anzutreten, waren nicht von Erfolg gekrönt.

«Leider ist unser Plan nicht aufgegangen», sagte Alonso nach der Niederlage vor den Augen von ganz Fußball-Europa. Alleine bei RTL schauten 7,82 Millionen Menschen zu, was einen Marktanteil von beachtlichen 32,4 Prozent bedeutete.

Trost kam nicht nur von den Fans, die laut Kapitän Lukas Hradecky für ein «rotes Meer» in Dublin gesorgt hatten und die Mannschaft nach Schlusspfiff feierten. Sondern auch aus den höchsten Kreisen des deutschen Fußballs.

«Dieses Ergebnis ändert nichts daran, dass Bayer Leverkusen eine große Geschichte geschrieben und Deutschland und Europa beeindruckt hat», sagte DFB-Direktor Rudi Völler, der fast 25 Jahre als Spieler und Funktionär bei Bayer tätig war: «Spieler, Trainer und Mannschaft haben Fußball-Deutschland stolz gemacht, mit begeisterndem Fußball, bescheidenem Auftreten und einem besonderen Spirit hat Bayer unglaublich viele Sympathien und Fans gewonnen.» DFB-Präsident Bernd Neuendorf erklärte, Leverkusen habe «den deutschen Fußball überragend präsentiert und ganz Europa begeistert».

Xhakas zweite bittere Finalpleite

All das war freilich ein schwacher Trost. «Es war nicht unser Tag, es war nicht unser Spiel. Die eindeutig bessere Mannschaft hat gewonnen», sagte Granit Xhaka, der nach dem 1:4 vor fünf Jahren mit dem FC Arsenal gegen Chelsea seine zweite bittere Finalpleite in der Europa League hinnehmen musste. «Das war einfach nicht Bayer-like», stellte auch der nicht eingesetzte Nationalspieler Jonas Hofmann fest: «Gefühlt hat von Anfang an ein bisschen von allem gefehlt. Wir haben uns den Schneid abkaufen lassen.»

Sportchef Simon Rolfes berichtete nach dem Gang in die Kabine, «dass alle wussten, dass es nicht gerechtfertigt gewesen wäre, wenn wir heute gewonnen hätten. Der Gegner war in uns in vielen Bereichen überlegen, wir waren fast in allen Situationen auf dem Platz zweiter Sieger.» Das sind deutliche Worte aus dem Kreise einer Mannschaft, die vier Tage zuvor noch deutsche Fußball-Geschichte geschrieben und nach Aussage von Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann «eine Jahrhundert-Saison» gespielt hat.

Doch gegen diese bittere Final-Niederlage hätten sie in Leverkusen sogar gerne ihren historischen Bundesligarekord eingetauscht. «Uns allen war klar, dass die Serie irgendwann reißen muss», sagte Hofmann: «Aber wenn wir tauschen könnten, hätten wir lieber in der Bundesliga noch ein Spiel verloren.»

Beeindruckende Serie endet

Am Wochenende hatten sie in Leverkusen noch die Vollendung der ersten Bundesliga-Saison eines Clubs ohne Niederlage gefeiert, doch dass ihre unglaubliche Serie im 52. Spiel ausgerechnet in einem Endspiel endete, schmerzte alle sehr. Das Triple hat sich mit einem Schlag erledigt und der Frust saß tief. «Niederlagen in Finals vergisst man nicht so leicht», sagte Alonso.

Doch so, wie die Saison über fast alles für Bayer lief, so lief am Mittwoch in Irland fast alles gegen die Werkself. «Wir hatten mal einen schlechten Tag. Aber es schmerzt, dass es in so einem wichtigen Spiel passiert», sagte Alonso: «Heute hat uns einfach vieles gefehlt.»

Und der Gegner schlug die Leverkusener mit deren eigenen Mitteln. Er kaufte dem Favoriten den Schneid ab durch leidenschaftliches, temporeiches und aggressives Spiel und nutzte seine Chancen eiskalt. Vor allem in Person des Nigerianers Ademola Lookman, der in zwei Saisons für RB Leipzig ganze fünf Pflichtspiel-Tore erzielt hatte und Bayer nun mit einem Dreierpack (12., 26. und 75. Minute) quasi alleine besiegte. «Wahrscheinlich hat er das Spiel seines Lebens gemacht», sagte Hradecky ernüchtert.

Die europäische Presse sah eine regelrechte Entzauberung des Alonso-Teams. «Aus den Unbesiegbaren wurden die Unsichtbaren», schrieb die «Daily Mail» aus England.

(dpa)





Ich brauche Spieler, die am Ball besser sind als am Mikro.

— Otto Rehhagel