Auf Trauer folgt Trotz: Nagelsmann sieht eine Perspektive

von Marcel Breuer | dpa09:01 Uhr | 06.07.2024
Bundestrainer Julian Nagelsmann schaut nach dem EM-Aus nach vorn.
Foto: Tom Weller/dpa

Niclas Füllkrug schickte eine wahre Liebesbotschaft an die Fans. Julian Nagelsmann blickte forsch und optimistisch schon auf die WM 2026 in Nordamerika. In den Schmerz über das unglückliche 1:2 nach Verlängerung gegen Spanien, das Aus im EM-Viertelfinale und das jähe Ende der Titelträume beim Heimturnier mischte sich bei der Fußball-Nationalmannschaft schnell ein Gefühl, dass viel erreicht wurde und noch mehr möglich ist. 

Bei seinem emotionalsten Medienauftritt als Bundestrainer schaute Nagelsmann auch noch einmal zurück in den Spätherbst 2023. Nach dem 0:2 gegen Österreich hätten sich die Spieler sprichwörtlich vom Acker gemacht, nachdem sie ihren Job eher schlecht als recht erledigt hatten. Das war bei der EM anders. «Wir hatten ein überragendes Gemeinschaftsgefühl», sagte Nagelsmann. Kein einziges Mal habe er seine Profis maßregeln müssen. 

Perspektive 

«Wir wollten jedes der Spiele gewinnen, haben viel investiert. Das sollen die Jungs einfach mitnehmen», sagte Nagelsmann. Und es geht bald weiter. «In acht Wochen ist wieder Nations League», blickte der Bundestrainer schon voraus. 

Personal 

Toni Kroos wurde mit emotionalen Worten und großen Huldigungen in den Fußball-Ruhestand verabschiedet. Der Abschied des großen Dirigenten und Ruhepols - oder wie Nagelsmann sagte: des wohl auf lange Sicht erfolgreichsten deutschen Fußballers - war aber im Vorhinein bekannt. Weitere Veränderungen zeichnen sich ab. 

Torwart Manuel Neuer will in den nächsten Monaten entscheiden, ob er nochmal für Deutschland spielen wird. Das klang auch nach einer Hintertür. Bei Thomas Müller könnte eine Entscheidung für ein Ende der DFB-Karriere schneller fallen - vielleicht noch am Wochenende. «Kann schon sein, dass es das letzte Länderspiel war», sagte Müller. 

Nagelsmann hat Gespräche angekündigt. Müller richtet sich schon auf eine Unterredung ein. «Vielleicht werden der Trainer und ich feststellen, dass es sinnvoller ist», sagte er über seinen möglichen Schlussstrich unter mehr als 14 Jahre DFB-Karriere. Er habe einen guten Draht zu Nagelsmann.

Der Trainer kündigte personelle Veränderungen an, sprich eine Verjüngung des Kaders. In Jamal Musiala und Florian Wirtz stehen zwei Protagonisten der Zukunft als Fixpunkte fest. Aleksandar Pavlovic, der die EM krank verpasste, ist ein weiterer Perspektivspieler, wie auch Maximilian Beier, der Joker-Minuten gegen die Schweiz bekam. 

Ziele

Diese Ankündigung mag vollmundig klingen. Aber bei aller Trauer blitzte bei Nagelsmann schnell wieder die Lust auf neue Ziele auf. Die WM 2026 ist noch zwei Jahre entfernt, in seinem Kopf allerdings schon präsent. «Das Traurigste ist, dass eine Heim-EM in meiner Karriere wahrscheinlich nicht mehr kommt. Das tut weh. Und auch, dass man zwei Jahre warten muss, dass man Weltmeister wird, tut auch weh», sagte der Bundestrainer.

Nach dieser Aussage pausierte Nagelsmann kurz - und führte dann mit einem Grinsen in Richtung der Journalisten aus: «Die gefällt euch, die Aussage, da werden die Augen groß. Was soll ich sagen, dass wir in der Vorrunde ausscheiden? Natürlich wollen wir Weltmeister werden, das will jede Mannschaft, die teilnimmt in der Quali.»

Hand-Ärger

Betrogen fühlte sich Nagelsmann trotz des ausgebliebenen Elfmeterpfiffs von Schiedsrichter Anthony Taylor nach dem Handspiel des Spaniers Marc Cucurella nicht. Aber eine Regelanpassung forderte der Bundestrainer dennoch: Wenn der Ball so klar aufs Tor gegangen wäre wie nach dem Schuss von Jamal Musiala, müsse es Elfmeter geben - unabhängig vom Abspreizwinkel des Armes. 

Roboter könnten inzwischen Kaffee kochen, also müsse es doch auch eine Künstliche Intelligenz geben, die die Flugkurve des Balles berechnet, argumentierte Nagelsmann. Den Hauptgrund für das Aus sah der Bundestrainer in der Entscheidung nicht. Manuel Neuer hingegen machte klar deutlich, dass er sich ein Einschreiten des Video-Referees gewünscht hätte. Und Routinier Thomas Müller fasste es nahezu philosophisch zusammen: «Die Hand ist ein ganz verzwicktes Luder», sagte er. 

Fan-Gefühl

Diese Leistung bleibt unabhängig vom verpassten Titel: Die DFB-Elf hat nach Jahren der Malaise die Herzen der Fans wieder gewonnen. Im ganzen Land wurde gejubelt, gefeiert und dann gemeinsam gelitten. Niclas Füllkrug, der große Liebling der Fans, drückte die neue Liebe emotional aus. «An euch, vielen Dank für das tolle Gefühl, das ihr uns gegeben habt. Es war wahnsinnig schön, für euch auf dem Platz zu kämpfen. Schade, dass es nur bis zum Viertelfinale war. Ihr wart auf jeden Fall überragend», sagte der Dortmunder Angreifer. 

Nagelsmann platzierte sogar noch eine Botschaft, die weit über jeden sportlichen Aspekt hinausgeht. «Das sollen die Jungs mitnehmen, dass ein Land, das viel zu viel in Tristesse verfällt, ständig in Tristesse verfällt und in Schwarzmalerei, dass sie es gemeinschaftlich geschafft haben, es ein bisschen aufzuwecken und ihm schöne Momente beschert haben. Ich hoffe, dass diese Symbiose zwischen Fußballfans und Fußballmannschaft auch in der Gesellschaft stattfindet», sagte der Bundestrainer im Stuttgarter Stadion.

Der EM–Sommer könne nachwirken. «Dass wir begreifen, dass wir als gemeinschaftliche Gesellschaft auch viel mehr bewegen können, als wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und jeder individueller sein will als sein Nachbar», sagte Nagelsmann. Man müsse in Deutschland wieder einen Tick mehr gemeinsam machen.

(dpa)





Früher hatte er Mühe, Hamlet von Omelett zu unterscheiden.

— Max Merkel über Goethe-Fan Otto Rehhagel.