Julian Nagelsmann will seine grantigen Münchner Stars von der Leine lassen.
Dienstag, 12.04.2022
Vor dem Viertelfinal-Rückspiel in der Champions League gegen das erstaunlich widerspenstige FC Villarreal hielt der Coach des FC Bayern sein gereiztes Rudel «zwei, drei Tage» an der kurzen Leine, wie er bildreich beschrieb.
Am Dienstag (21.00 Uhr/Amazon Prime Video) in der heimischen Allianz Arena vor 70 000 Fans sollen Thomas Müller & Co. aber den Auslauf in Richtung Königsklasse-Halbfinale mit dem erwarteten Kracher-Gegner FC Liverpool um Jürgen Klopp bekommen.
«Jetzt muss ich nur noch diese silberne Schnalle aufmachen», kündigte Dompteur Nagelsmann nach viel Detailarbeit und Einzelgesprächen wie am Fließband an. «Und dann geht's los.»
Wollen? Sollen? Müssen? Nagelsmann war sich erst gar nicht so sicher, welches Modalverb auf das Duell gegen das vermeintliche spanische Glückslos eigentlich passt. Dass der deutsche Fußball-Rekordmeister unter Zugzwang ist, steht außer Frage.
Manchmal sei ein «besonderer Reiz, ein besonderer Druck» von Nöten, sagte Nagelsmann, «um auch eine besondere Leistung herauszukitzeln.» Der 34-Jährige verwies auf die Entstehung von Diamanten, die sich nur «unter sehr hohem Druck» ausbilden. «Vielleicht entsteht morgen auch ein glänzendes Spiel.»
Erstes Qualitätskriterium der Münchner gegen den Europa-League-Sieger ist das Weiterkommen. Dafür müssen die Bayern ein 0:1 aufholen. Siegesgewiss präsentierte sich Torjäger Robert Lewandowski auf dem Trainingsplatz schonmal mit dem Victory-Zeichen.
«Wir haben viele Fehler gemacht im Hinspiel. Sie haben einen gemacht, dass sie uns am Leben gelassen haben und das sollten wir bestrafen», kündigte Nagelsmann eine unmissverständliche Reaktion seiner zuletzt so rätselhaft schwankenden Mannschaft an. Mehr Intensität und Emotion wolle er sehen, «bisschen ekliger» solle seine Mannschaft spielen.
Nationalspieler Niklas Süle wird als erhoffter Stabilisator der Abwehr nicht dabei sein. Der 26-Jährige fehlt wegen einer Grippe. Nagelsmann schloss einen Einsatz Süles auch am Wochenende in der Bundesliga bei Arminia Bielefeld aus.
Dafür ist Weltmeister Lucas Hernández wieder einsatzbereit. Der französische Verteidiger hatte beim 1:0 am Samstag gegen den FC Augsburg wegen einer Oberschenkelprellung gefehlt.
Der für seinen rund 30-minütigen Einsatz in der Bundesliga von Nagelsmann gelobte Marcel Sabitzer wird keinen Platz in der Startelf bekommen. Im Druck-Duell sollen Spieler beginnen, «die mehr Bayern-Identität haben, weil sie schon länger da sind.»
Die Führungsspieler in der Mannschaft sind gefordert. Von Lewandowski über Thomas Müller und Joshua Kimmich bis hin natürlich zu Manuel Neuer. «Mit uns ist nicht zu spaßen, wenn wir so ein Spiel wie in Villarreal 0:1 verloren haben. Das wurmt uns natürlich», sagte der Torwart und Kapitän der Münchner. «Wir wollen uns von unserer besten Seite zeigen.»
Die Bayern wissen, dass sie höher schalten können, wenn es darauf ankommt. Funktioniert das auf internationaler Bühne aber tatsächlich scheinbar mühelos auf Knopfdruck?
In den vergangenen Jahren war regelmäßig Schluss, wenn das Hinspiel verloren wurde. Nach einer Auswärtsniederlage im Hinspiel einer K.o.-Runde der Champions League kamen die Münchner aber auch dreimal weiter. 2014/15 gegen den FC Porto (1:3, 6:1) im Viertelfinale, 2011/12 gegen den FC Basel (0:1, 7:0) im Achtelfinale und 2006/07 gegen Real Madrid (2:3, 2:1) ebenfalls im Achtelfinale.
Der «eigene Wille» in der Mannschaft mache ihm Mut, betonte Neuer und beschwor das Mia san Mia, wenn der FC Bayern besonders gefordert ist. «Wir haben Charaktere in der Mannschaft, die einen großen Ehrgeiz und Anspruch haben.» Probleme im Binnenklima erkennt Neuer nicht. «Wir haben überhaupt keine Führungskrise, wir kommunizieren viel», versicherte der 36-Jährige.
Geredet haben sie beim FC Bayern in den vergangenen Tagen ohnehin genug. «Ich bin überzeugt, dass wir weiterkommen», sagte auch Vereinspräsident Herbert Hainer schnörkellos. Ein 0:1 sei schließlich ein Ergebnis, «das wir definitiv reparieren können».
FC Bayern München: Neuer - Pavard, Upamecano, Hernández, Davies - Kimmich, Goretzka - Musiala, Müller, Coman - Lewandowski
FC Villarreal: Rulli - Foyth, Raul Albiol, Pau Torres, Estupiñán - Lo Celso, Capoue, Parejo, Coquelin - Gerard Moreno, Danjuma
Schiedsrichter: Vinčić (Slowenien)
(dpa)
Klinsmanns eiliger Rückzug wird das ohnehin strapazierte Verhältnis zwischen Berlinerinnen und Schwaben auch nicht verbessern.
— Fabian Scheler, DIE ZEIT Online.