Die große Party an seinem 70. Geburtstag in der alten Heimat muss Joachim Streich verschieben.
1. FC Magdeburg
2. Bundesliga
•Rang: 9•Pkt: 25•Tore: 25:22
«Wir wollten ganz in Familie in einem Hotel in Kühlungsborn feiern. Aber das ist aufgrund der Corona-Pandemie nun leider hinfällig», erzählt der aus Wismar stammende Rekordnationalspieler und -torschütze der DDR. «Jetzt werden wir den Geburtstag wohl oder übel zu Hause in Möckern verbringen. Aber wenn es wieder erlaubt ist, holen wir die Feier nach.»
Obwohl für Streich schon während seiner aktiven Zeit als Spieler nicht immer alles nach Plan lief, gehörte der zweimalige DDR-Fußballer des Jahres (1979, 1983) seinerzeit zu den weltbesten Stürmern. «Ich hatte Talent, musste mir aber vieles hart erarbeiten», sagt Streich im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. In 102 Auswahlspielen traf er 55 Mal, dazu schoss er in 378 Oberligapartien 229 Tore - alles Rekorde für die Ewigkeit.
Trotz dieser beeindruckenden Zahlen stand Streich während seiner Karriere oft in der Kritik. «Der damalige «FuWo»-Chefredakteur Klaus Schlegel hat mich oft herausgepickt und mich für meine aus seiner Sicht mangelhafte Laufleistung und Spielweise kritisiert. Jürgen Croy wollte mich danach moralisch immer aufbauen. Da habe ich ihm gesagt: «Jürgen, du musst mich nicht aufrichten. Ich weiß, dass ich hier der Beste bin».»
Begonnen hatte Streichs erfolgreiche Karriere bei der BSG Aufbau Wismar, wo er von Anfang an nur eine Richtung kannte: das gegnerische Tor. 1967 wechselte er als 16-Jähriger zum FC Hansa Rostock. «Weil ich nicht delegiert wurde, durfte ich zwar kostenlos im Internat übernachten, wurde aber nicht verpflegt», erinnert sich der gelernte Schaltanlagenmonteur. «Mit 70 Ost-Mark Lehrlingsgeld war es nicht einfach, über die Runden zu kommen. Die älteren Mitbewohner haben mir immer mit Essenmarken ausgeholfen.»
Beim FC Hansa reifte Streich zum Nationalspieler, als 18-Jähriger absolvierte er sein erstes A-Länderspiel. Auch privat fand er an der Ostsee sein Glück. 1970 lernte er in Wismar seine Marita kennen, ein Jahr später folgte die Hochzeit. «Wir sind seitdem sehr glücklich verheiratet», sagt Streich.
1975 verabschiedete sich der Stürmer mit einem verschossenen Elfmeter im letzten Saisonspiel gegen Vorwärts Stralsund aus Rostock. Das 1:1 reichte nicht, der FC Hansa stieg ab. «Ich wollte weiter Oberliga spielen und zum FC Carl Zeiss Jena wechseln. Der Verein war sehr professionell aufgestellt, mit Trainer Hans Meyer herrschte bereits Einigkeit. Auch für meine Frau hatten sie in Jena eine Arbeitsstelle besorgt», berichtet Streich.
Doch der Verband grätschte dazwischen und delegierte Streich zum 1. FC Magdeburg. Seinen Leistungen tat das keinen Abbruch. «Strich», wie er damals genannt wurde, wurde vier Mal Torschützenkönig der DDR-Oberliga und mit dem FCM drei Mal FDGB-Pokalsieger. Wegen seiner Schlitzohrigkeit wurde Streich oft mit Gerd Müller verglichen. «Wir haben am Samstagabend in der Sportschau natürlich die Bundesliga geschaut. Gerd Müller war wegen seiner genialen Tore auch ein Vorbild für mich», sagt Streich, der mit der DDR-Auswahl 1972 Olympia-Bronze gewann und 1974 an der Weltmeisterschaft teilnahm: «Es gab national wie international viele tolle Momente, aber mein 100. Länderspiel im Londoner Wembley Stadion bleibt mir besonders gut in Erinnerung.»
Trotz seiner vielen Auslandsreisen kam im Torjäger aber nie der Gedanke auf, die DDR verlassen zu wollen. «Ich hatte nicht die Traute und nach der Hochzeit mit Marita und der Geburt unserer Tochter Nadine stand Republikflucht für mich sowieso nicht zur Diskussion. Dazu habe ich in der DDR sehr gern Fußball gespielt», betont Streich rückblickend. «Aber ich glaube, und das haben die Vergleiche mit den westdeutschen Mannschaften gezeigt, dass ich mich auch in der Bundesliga durchgesetzt hätte.»
Unmittelbar nach dem Ende seiner Spielerkarriere wurde Streich 1985 zum Cheftrainer des 1. FC Magdeburg ernannt - erneut gegen seinen Willen. Die großen Erfolge blieben zwar aus, dafür hat Streich andere Spieler geprägt. «Er war derjenige, der mir die Tür zum Profifußball sehr weit geöffnet hat. Joachim hatte ein feines Gespür, auch fachlich und inhaltlich war seine Arbeit absolut überzeugend», sagt Dirk Schuster, damals knallharter Verteidiger und heute Trainer bei Zweitligist FC Erzgebirge Aue.
Nach dem Mauerfall folgte Schuster seinem Coach 1990 zum damaligen Zweitligisten Eintracht Braunschweig, wo Streich elf Spieltage vor Saisonende entlassen wurde. «Der Verein wollte unbedingt zurück in die 1. Liga. Aber die Qualität im Kader war nicht vorhanden. Und wenn die Erfolge ausbleiben, bist du als Trainer das schwächste Glied», erinnert sich Streich. Nach einem kurzen Intermezzo beim FSV Zwickau, den er 1997 vor dem Abstieg aus der 2. Bundesliga gerettet hatte, zog er sich aus dem Fußballgeschäft zurück: «Ich wollte nicht mehr aus dem Koffer, sondern mit meiner Familie leben.»
Heute genießt Streich seinen Alltag als Pensionär, werkelt gern in seinem Garten und hält sich auf dem Fahrrad fit. Den Fußball hat er trotzdem noch im Blick - und schaut ganz besonders auf seine Herzensvereine Rostock und Magdeburg. «Ich wünsche Hansa den Aufstieg in die zweite Liga und hoffe, dass sich der FCM rettet. Der Abstieg des 1. FC Magdeburg wäre eine Katastrophe.»
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(dpa)
Es wollte mich kein Anderer.
— Werder Bremens Neuzugang Mitchell Weiser.