Der freie Verkauf dauerte nicht einmal zehn Stunden. Bereits fünf Tage vor dem Heimspiel gegen RB Leipzig vermeldete Borussia Dortmund am Montagabend: Alle 81.365 Eintrittskarten sind vergriffen.
Samstag, 02.04.2022
Auch Eintracht Frankfurt rechnet am Samstag gegen die SpVgg Greuther Fürth mit mehr als 50.000 Zuschauern. Die These, nach der sich mehr und mehr Fans während der Coronakrise vom modernen Profifußball entfremdet haben, lässt sich zumindest durch die aktuellen Zuschauerzahlen in Deutschland nicht belegen. Wie überhaupt der Fußball nach zwei Jahren Pandemie zahlreiche Signale sendet, die auf den ersten Blick überhaupt nicht zueinander passen.
Seit dem ersten Lockdown kündigen Vereins- und Verbandsvertreter eine neue «Demut» in ihrem Multimillionen-Euro-Geschäft an. Doch gleich in ihrem ersten großen «Bild»-Interview als neue Geschäftsführerin der Deutschen Fußball Liga wollte Donata Hopfen nicht einmal einen Supercup in Saudi-Arabien ausschließen. Hertha BSC beantragte staatliche Coronahilfen von rund sieben Millionen Euro, obwohl der Unternehmer Lars Windhorst in den Jahren 2019 bis 2021 rund 375 Millionen Euro in den Club investierte. Doch kaum sind seit dem 20. März überall wieder volle Stadien erlaubt, füllen die Anhänger sie an den meisten Orten auch wieder. Wie passt das zusammen?
Experten sehen darin keinen Widerspruch. «Ich glaube, das hat ganz viel mit der gesamtgesellschaftlichen Situation zu tun», sagt Helen Breit, die Vorsitzende der Fan-Organisation «Unsere Kurve». «Die Leute wollen rausgehen. Jeder Mensch ist die Pandemie ein bisschen leid. Da bietet der Fußball genau wie der kulturelle Bereich die Möglichkeit, wieder eine Normalität wie früher zu erleben.»
Professor Thomas Alkemeyer leitet an der Universität Oldenburg den Arbeitsbereich Soziologie und Sportsoziologie, auch er nimmt «eine Sehnsucht nach Normalität» in der Gesellschaft wahr. Und er sagt: «Die Rede von mehr Demut war ein Stück weit Symbolpolitik. Sie war nötig, um das Image des Fußballs zu retten.» Der sei zu Beginn der Coronakrise «in weiten Teilen der Öffentlichkeit arg in die Defensive geraten. Diese Diskussion ist abgeebbt. Das heißt nicht, dass es die Entfremdung nicht gäbe.» Die habe nur schon weit vor Corona begonnen.
Und so spricht einiges dafür, dass viele Diskussionen der Pandemie-Zeit noch lange nicht zu Ende geführt sind, sondern jetzt erst wirklich konkret werden. Wie schafft der Fußball wieder eine Verbindung zu seiner Basis? Wie bekommt er die exorbitanten Gehälter und Ablösesummen in den Griff? Und wie verhält er sich in Zukunft zu Diktaturen wie Russland, Saudi-Arabien oder Katar, die den Sport mit viel Geld über Jahre zur Ausweitung ihres Einflusses nutzen konnten?
Der Manager Robert Schäfer bewegt sich seit Jahren auf einer der größten Konfliktlinien des modernen Fußballs. Er war Geschäftsführer bei 1860 München, als sich dort der Investor Hasan Ismaik und der Mutterverein in den Haaren lagen. Und der 46-Jährige ist es auch jetzt wieder bei Hannover 96, wo sich der Mehrheitsgesellschafter Martin Kind und die von vielen Fans unterstützen Kind-Gegnern an der Spitze des eingetragenen Vereins gegenüberstehen.
Schäfers Bestandsaufnahme nach zwei Jahren Coronakrise ist: «Zwei Jahre, die in Zeiten der digitalen Veränderung beinahe eine Ewigkeit sind, hat unsere Branche praktisch kaum nach vorne gucken können.» Fast alle Vereine seien «mit dem Überlebenskampf beschäftigt gewesen». Jetzt komme der Fußball «mit einer neuer Führung aus der Pandemie: Donata Hopfen ist Geschäftsführerin der DFL, Hans-Joachim Watzke spielt dort als Aufsichtsratschef eine stärkere Rolle und auch der DFB hat einen neuen Präsidenten. Aber die, die schon ein Ziel und eine Strategie vorgelegt haben, sind die organisierten Fans.»
Deren Konzept «Zukunft Profifußball» fordert ein Bekenntnis zum Fußball als basisnahem Volkssport - mit einer eigenen Kommission Fans & Fankulturen in der DFL und einer gleichmäßigeren Verteilung der TV-Gelder. Das geht weit über die Ergebnisse der «Taskforce Zukunft Profifußball» der DFL hinaus, die auch Breit «eine Enttäuschung» nennt. Und sie saß dort 2020 als Fan-Vertreterin mit am Tisch.
Doch während es Schäfer für wichtig hält, dass auch der Profifußball schnellstmöglich «ein Ziel und eine Strategie» formuliert, gingen die Aussagen dort in den vergangenen Tagen ziemlich durcheinander.
Dortmund-Boss Watzke sagte der «Sport Bild» (Mittwoch): «Wir als Liga müssen den Menschen in Europa und der ganzen Welt vor allem klarmachen: Die Bundesliga ist politisch korrekt und sauber. Und sie entwickelt definitiv die meisten jungen Spieler, hat die weitaus günstigsten Eintrittskarten, setzt auf Nachhaltigkeits-Themen.»
Nur zwei Tage vor dem Erscheinen dieses Interviews hatte Karl-Heinz Rummenigge die 50+1-Regel in Frage gestellt. Wenn man die nicht so ändere, «dass trotzdem Investoren in die Bundesliga investieren dürfen, dann stellt sich die Frage, wie lange die Bundesliga die Wettbewerbsfähigkeit aufrecht erhalten kann», sagte der ehemalige Vorstandschef des FC Bayern München in dem Podcast «TOMorrow».
Die 50+1-Regel begrenzt nur in Deutschland den Einfluss externer Geldgeber. Sie ist ein Garant dafür, dass der Bundesliga ein Beispiel wie dieses aus der englischen Premier League nicht passieren kann: Mitte März wurden innerhalb weniger Tage 81 Menschen in Saudi-Arabien hingerichtet und dem russischen Oligarchen Roman Abramowitsch in Großbritannien wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Kriegstreiberei die Kontrolle über den FC Chelsea entzogen. Am 13. März spielte dann Chelsea gegen Newcastle United, das dem saudischen Staatsfond gehört. Ein «dunkler Tag» für den Fußball, schrieb der «Guardian».
Wegen derartiger Verbindungen des Profifußballs bleiben viele Fans in Deutschland skeptisch, obwohl sie wieder ins Stadion gehen. «Diese Euphorie überwiegt einfach im Moment. Ob sich das im Fußball dann langfristig so hält, das ist die Frage», sagte Helen Breit.
(dpa)
Ein Frühling macht noch keinen Sommer.
— Klaus Toppmöller