Die Bilder vom traurigen Raphael Guerreiro an Krücken und dem mit einem Turban versorgten Eric Dier nach einer Platzwunde am Kopf standen sinnbildlich für den FC Bayern vor der großen Fußball-Nacht im Estadio Santiago Bernabéu.
Verletzte Profis, Frust und schmerzhafte Schrammen bei der Trainersuche - und als negative Zugabe auch noch ein 1:3 (1:1) beim VfB Stuttgart: Es läuft alles andere als rund bei den Münchnern vor dem Last-Titel-Match gegen Real Madrid, in dem der Traum von Wembley in Erfüllung gehen soll.
«Es ist verhext», stöhnte Noch-Coach Thomas Tuchel. Dabei störte nicht nur ihn die schon siebte Saison-Niederlage in der Bundesliga (so viele wie zuletzt vor zwölf Jahren) noch am wenigsten. «Es war das berühmte Sandwich-Spiel zwischen zwei Champions-League-Halbfinals», bemerkte Tuchel zur mental schwierigen Prüfung im Liga-Alltag zwischen dem 2:2 im Hinspiel gegen Madrid, das am Wochenende in Spanien Meister wurde, und der entscheidenden zweiten Partie an diesem Mittwoch (21.00 Uhr/DAZN).
Tuchel: «Wir werden schon Vizemeister werden»
Zum auf zwei Punkte geschmolzenen Vorsprung auf famose Stuttgarter hielt Tuchel noch kurz fest: «Wir werden schon Vizemeister werden!» Auf der zweistündigen Busfahrt am Samstagabend von der Stuttgarter Arena zurück nach München wollte er aber nur noch «daran denken, was wir in Madrid brauchen». Das ist viel, vor allem aber sind es fitte und belastbare Spieler, die notfalls auch 120 Minuten mit Herz und Energie kämpfen können.
Davon aber haben die Bayern gerade viel zu wenige, nachdem sich im ausverkauften Stuttgarter Stadion auch noch der Portugiese Guerreiro schwer am Fuß verletzte und der lädierte Engländer Dier vorsichtshalber zur Pause ausgewechselt wurde.
Mathematik in den Mediziner-Sitzungen
Guerreiro fällt mit einer Bänder- und Kapselverletzung im Sprunggelenk über Madrid hinaus aus. De Ligt, Musiala, Sané, Laimer, Upamecano, Dier - die Liste der Sorgenfälle ist lang, viel zu lang. Tuchel beschrieb das Verletzungspech, das Kapitän Manuel Neuer eine «Never Ending Story» nannte, mit einem Einblick in seine Arbeitssituation. «Wir machen mittlerweile mehr Mathematik in den Mediziner-Sitzungen vor den Spielen. Der kann 60 Minuten spielen, der 30, der eventuell 30, der gar nicht», beschrieb der Coach seine Hilfslosigkeit in Aufstellungsfragen.
Gegen den VfB schonte Tuchel so viele Stars wie möglich. Der Rest versuchte, die 90 Minuten so schadlos wie möglich zu überstehen. Überzeugend traten nur Elfmeterschütze Harry Kane und Kapitän Neuer auf, der trotzdem drei Treffer von Leonidas Stergiou sowie Woo-yeong Jeong und Silas Katompa Mvumpa schlucken musste. «Wir akzeptieren nie Niederlagen», sagte Neuer, aber der Kopf war halt abgelenkt. «Es ist so, dass wir wissen, dass ein ganz großes Spiel auf uns wartet. Es wird wieder ein Finale im Bernabéu - und wir wollen es gewinnen», sagte der Nationaltorhüter. Noch winkt am 1. Juni ein Happy End.
Hainer: Vereinbarung mit Tuchel steht
Auch für Tuchel. Drei, maximal vier Spiele auf der Bayern-Bank bleiben ihm noch. «Die Vereinbarung steht», bekräftigte Präsident und Aufsichtsratschef Herbert Hainer am Wochenende zum Trennungsbeschluss am Saisonende.
Für Sportvorstand Max Eberl ist eine Rolle rückwärts bei Tuchel auch keine Option. Der Sportvorstand steht vor der kniffligen Aufgabe, nach den Fehlschlägen bei Xabi Alonso (Bayer Leverkusen), Bundestrainer Julian Nagelsmann und dem frischen «Schlag» durch das Nein von Österreichs Nationalcoach Ralf Rangnick einen Trainer zu präsentieren, der jetzt noch mehr als eine Notlösung darstellt. Man sei «weiter auf Partnersuche», sagte Eberl in Stuttgart. Aber da müssten nun mal am Ende zwei zusagen, ergänzte er.
Inzwischen wird jeder Trainer, der irgendwo bei einem Verein verlängert oder sich zu einem bestehenden Engagement bekennt, als Bayern-Absage gewertet, was den Bossen um Eberl stinkt. Trotzdem versicherte der 50-Jährige: «Wir werden nicht einen nehmen, der irgendwo frei ist und sich anmeldet, sondern wollen trotzdem einen finden, der für Bayern München in den nächsten Jahren arbeiten kann.» Das klingt nicht nach einer Übergangslösung.
Trainersuche: «Auf einmal gehen Türen auf»
Mit einem anderen Satz öffnete Eberl Raum zum Spekulieren. «Auf einmal gehen Türen auf, wo du gedacht hast vor drei Wochen, die sind unmöglich.» Hat sich bei einem Kandidaten die Situation kurzfristig geändert? Hansi Flick liebäugelte mit dem FC Barcelona? Dort macht aber Xavi nun doch weiter. Tuchel möchte das lästige Thema zumindest bis nach Real mal vertagen. «Wir haben noch einen Trainer beim FC Bayern unter Vertrag. Dann ist es auch eine Form des Respekts, daraus nicht so ein großes Thema zu machen», sagte er am Wochenende. Zumindest kein größeres als das Alles-oder-nichts-Spiel in Madrid.