Kaderanalyse Bremen: Aus alt mach jung – Kohfeldts Schicksalssaison

von David Di Tursi13:34 Uhr | 18.09.2020
Fällt zum Start der Bundesliga verletzt für Werder Bremen aus: Ömer Toprak. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Foto: Karl-Josef Hildenbrand

Eine Horror-Saison fand für Werder mit der überstandenen Relegation ein Ende ohne den ganz großen Schrecken, daher geht man in Bremen definitiv hochmotiviert in die kommende Spielzeit. Im Vorjahr noch mit Europa-League-Ambitionen angetreten, haben sich die Hanseaten mittlerweile von etlichen Routiniers getrennt und dürften mit einer realistischen Zielsetzung ins neue Fußballjahr starten.

Kohfeldt bleibt wachsam: „Den kannst Du nicht gebrauchen“

Da der Abgang von Max Kruse nicht kompensiert wurde und die Verletzungsmisere anhielt, war Bremen statt ins internationale Geschäft in eine handfeste Krise geschlittert und stand bereits mit einem Bein in der zweiten Liga. Mit zurückgewonnener Demut erhoffen sich die Grün-Weißen jetzt eine stressfreie Saison. Ein erneuter Abstiegskampf soll vermieden werden, dürfte an der Weser allerdings niemanden mehr überraschen.

Die Werder-Verantwortlichen um Sportchef Frank Baumann wurden für ihr eisernes Festhalten an Florian Kohfeldt letztlich belohnt. Der Trainer des Jahres 2018 steht unter besonderer Beobachtung und will unbedingt beweisen, dass die abgelaufene Saison ein Ausrutscher war.

Werder gewann alle sieben Testspiele, mit einem hochklassigen Gegner duellierte man sich allerdings nicht. „Wir haben eine ordentliche bis gute Vorbereitung gespielt. Die Basis haben wir gelegt, aber jetzt wird’s wichtig“, lässt sich Kohfeldt nicht blenden. „Jeder, der bei unserer Vergangenheit jetzt einen Höhenflug hat, den kannst du nicht gebrauchen.“

Zugänge

Top-Zugang: Tahith Chong

Der schnelle Offensivmann kam auf Leibasis von Manchester United, gefiel während der Vorbereitung als dreifacher Torschütze und erzielte im Pokal gegen Jena als Joker gleich seinen ersten Treffer für Bremen. Mehr noch als der niederländische U21-Nationalspieler darf sich Abräumer Patrick Erras Hoffnungen auf die Startelf machen.

Mit seinen 1,96 Meter soll der Neuzugang aus Nürnberg schließlich nicht zuletzt die Standardschwäche vergessen machen. Auch Felix Agu füllt eine Lücke, kann der 21-Jährige doch beide Außenverteidiger-Positionen bekleiden. Bei Leonardo Bittencourt und Ömer Toprak griffen durch den Ligaverbleib die Kaufpflichten.

Feste Zugänge

Leonardo Bittencourt, Hoffenheim, 7 Mio. Ömer Toprak, Borussia Dortmund, 4 Mio. Felix Agu, VfL Osnabrück, ablösefrei Patrick Erras, 1. FC Nürnberg, ablösefrei Johan Mina, CS Emelec, ablösefrei Oscar Schönfelder, Mainz, ablösefrei

Geliehen

Tahith Chong, Manchester United


Leih-Rückkehrer

Martin Harnik, Hamburger SV Ole Käuper, Carl Zeiss Jena Jean Manuel Mbom, KFC Uerdingen Romano Schmid, Wolfsberger AC


Abgänge

Schwerster Abgang: Claudio Pizarro

Sportlich kein Faktor mehr, war der 41-jährige Peruaner mit seiner „stressresistenten“ Art laut Kohfeldt „eine unglaubliche Respektsperson für alle“ und hatte trotz vereinzelter Fehltritte „einen riesigen Einfluss auf die jungen Spieler.“

Neben dem Publikumsliebling haben mit den Urgesteinen Philipp Bargfrede und Fin Bartels neben Nuri Sahin und Sebastian Langkamp zuletzt weitere erfahrene Spieler den Verein verlassen. Durchweg jungen Neuzugängen stehen somit fast ausschließlich altgediente Abgänge gegenüber. Mit dem umworbenen Milot Rashica könnte sich zudem noch ein Leistungsträger aus Bremen verabschieden.

Feste Abhänge

Philipp Bargfrede, vereinslos Fin Bartels, Holstein Kiel, ablösefrei Felix Bejimo, Malmö FF Michael Lang, Gladbach, Leih-Ende Sebastian Langkamp, vereinslos Claudio Pizarro, Karriereende Nuri Sahin, Antalyaspor, ablösefrei Kevin Vogt, Hoffenheim, Leih-Ende

Verliehen

Jan-Niklas Beste, Jahn Regensburg Benjamin Goller, Karlsruher SC Thore Jacobsen, 1. FC Magdeburg Luca Plogmann, SV Meppen


Relegation als Motor für eine bessere Zukunft?

Die Lehren, die Baumann und Kohfeldt aus dem Fast-Abstieg gezogen haben, mündeten in diesem Corona-Sommer in einem Verjüngungsprozess. Stammspieler finden sich unter den arrivierten Abgängen allerdings nicht. Torwart Jiri Pavlenka ist weiterhin gesetzt, ebenso Linksverteidiger Ludwig Augustinsson und dessen Pendant Theodor Gebre Selassie. Im Abwehrzentrum droht der fast 35-jährige Niklas Moisander neben der Kapitänsbinde indes auch seinen Stammplatz zu verlieren.

Weiter zur Führungsfigur aufsteigen soll Davy Klaassen, der in der Krise zunehmend Leader-Qualitäten bewies und diese nun wohl vermehrt an der Seite von Maximilian Eggestein und Erras nachweisen darf. In vorderster Front konnte Davie Selke in der Vorbereitung mit fünf Toren überzeugen, hat mit Niclas Füllkrug allerdings einen starken Konkurrenten. Joshua Sargent traf im Pokal und ist aktuell ohnehin kaum wegzudenken.

Zwischen Abstiegszone und Niemandsland

Ein lukrativer Verkauf von Rashica wäre für die klammen Bremer sinnvoll, das Team würde dadurch aber seines stärksten Individualisten beraubt. Auch ohne den Kosovaren hat die Wundertüte Werder jedoch fraglos genug Substanz, um die Klasse zu halten. Kurz gesagt: Bestenfalls könnte der Abschied mehrerer langjähriger Säulen in der Mannschaft wie gewünscht neue Impulse freisetzen und ohne große Verletzungssorgen bestenfalls eine Platzierung zwischen Platz acht und zwölf möglich machen.

Mögliche Top-Elf
Pavlenka – Gebre Selassie, Veljkovic, Friedl, Augustinsson – Eggestein, Erras, Klaassen – Sargent, Rashica – Füllkrug





Ich weiß nicht, ab wie viel Zentimetern entschieden wird, dass es Abseits ist.

— Ralph Hasenhüttl nach der ausgebliebenen Korrektur des Abseitstors von Filip Kostics beim 1:1 gegen den HSV.