Gladbach beeindruckt: Unterschätzt zum Titel?

von Marcel Breuer | dpa11:42 Uhr | 16.02.2020
Die Gladbacher siegten in Düsseldorf mit 4:1. Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa
Foto: Jan Woitas

Irgendwann, da ist sich Marco Rose sicher, kommt Joachim Löw nicht mehr an Florian Neuhaus vorbei. Der 22 Jahre alte derzeit überragende Mittelfeldspieler von Borussia Mönchengladbach ist so etwas wie der Inbegriff für die permanente Unterschätzung der Fohlen.

Die Experten sprechen über Leverkusens Kai Havertz (20) oder über Dortmunds Julian Brandt (23), Gladbachs Neuhaus hingegen wartet nach wie vor auf eine Nominierung zur Fußball-Nationalmannschaft.

«Der Bundestrainer hat alles ganz gut im Griff. Ich glaube schon, dass Flo natürlich jemand ist, der sich dort perspektivisch mal wiederfindet», sagte Rose nach Neuhaus' erneut starkem Auftritt beim 4:1 (1:1) am Samstagabend beim ersten Auswärtssieg der Borussia im Niederrhein-Derby bei Fortuna Düsseldorf seit 30 Jahren. Neuhaus glänzte dabei als Torschütze (82.) und Antreiber. «Im Sommer sind zwei wunderbare Events mit Olympia und der Euro und bei einem werde ich bestimmt dabei sein», sagte der Ex-Fortune selbstbewusst.

So wie beim aktuell überragenden Mittelfeldmann wächst im gesamten Team die Zuversicht. «Möglich ist in dieser Saison schon einiges», sagte der ebenfalls seit Wochen in Topform spielende Jonas Hofmann (27), Torschütze zum 1:0 (22.): «Wir brauchen uns da oben nicht zu verstecken.» Der Dauer-Tabellenführer der Hinrunde ist nach 21 Spielen Vierter mit 42 Punkten, hat aber noch eine Partie mehr zu spielen. «Wir wollen weiter für Furore sorgen», sagte Hofmann. Es gibt einige Gründe, die dafür sprechen, dass das gelingt:

EINBRUCH DIESMAL NICHT IN SICHT: Unter Rose-Vorgänger Dieter Hecking brach Borussia in den Rückserien der vergangenen beiden Spielzeiten jeweils ein. Diesmal zeigt die Formkurve nach dem schwachen 0:2 zum Rückrunden-Auftakt auf Schalke dagegen nach oben.

TAKTISCHE FLEXIBILITÄT: Unter Rose ist das Team kaum mehr auszurechnen. Die Grundformation variiert von Spiel zu Spiel oder wie in Düsseldorf selbst während der Partien. «Wir können drei, vier Systeme spielen. Wenn man immer agieren kann und der Gegner reagieren muss, ist das natürlich besser», sagte Hofmann.

BREITER KADER MIT VIEL QUALITÄT: Auch mit dem Personal überrascht Rose immer wieder. So etwa in Düsseldorf mit Tobias Strobl in der Abwehr. Spieler wie Patrick Herrmann oder Breel Embolo saßen nur auf der Bank, das Fehlen vom gesperrten Plea fiel nicht ins Gewicht. «Wir haben nicht nur elf Spieler, die Stammspieler sein können», sagte Hofmann. «Wir können durchwechseln, ohne Qualität zu verlieren.»

KEINE MEHRFACHBELASTUNG: Als einziger Spitzenclub spielt Gladbach nur noch in der Liga. So bleibt mehr Zeit für Trainingsinhalte, die Belastung ist geringer. Zu Spannungsabfall führt dies nicht, wie Gladbach nach zweiwöchiger Pause durch das abgesagte Derby gegen Köln im nächsten Prestigeduell in Düsseldorf eindrucksvoll zeigte.

ROSES EHRGEIZ: Nach zwei Meistertiteln in Österreich mit Salzburg brachte Rose Sieger-Mentalität mit nach Gladbach. Aus Rücksicht auf die eher vorsichtige Club-Führung hält sich der Coach mit offen formulierten Meister-Ansprüchen (noch) zurück, treibt seine Spieler intern aber an. «Er hat uns noch mal heiß gemacht», sagte Neuhaus. «Wir müssen realisieren, dass es jetzt in die heiße Phase geht. Jetzt müssen wir zeigen, dass wir da sind, dass wir wollen», sagte Rose selbst. «Wir wollen jetzt jedes Spiel gewinnen. Wenn wir das schaffen, haben wir gute Chancen, ganz oben mit dabei zu sein.»

DRUCK-RESISTENZ: Durch das ausgefallene Derby vor einer Woche und dem späten Spiel am Samstag hatte Verfolger Leverkusen zum Anpfiff zwei Spiele mehr absolviert und plötzlich einen Punkt Vorsprung. Dem Druck des Gewinnen-Müssens hielt das Team beeindruckend stand.

DER «SABINE»-JOKER: Obwohl Gladbach ein Spiel weniger absolviert hat, mischen die Borussen weiter im Titel-Vierkampf mit. Das Nachholspiel gegen Köln Mitte März haben sie noch in der Hinterhand. Das Derby war vor einer Woche wegen des Sturmtiefs «Sabine» abgesagt worden.

(dpa)



Sobald wir zu viel denken, ist das nicht unser Spiel.

— Jens Keller