Die Nachbarn aus Köpenick jubelten mal wieder im Olympiastadion in ihrer Kurve, die Hertha-Profis schlichen nur langsam zu ihren Fans. Einzelne Bierbecher flogen, es gab Pfiffe, doch ganz die große Wut in der Ostkurve blieb aus. Vielleicht war das auch dem teilweise bleiernen Derby in Eiseskälte geschuldet.
Samstag, 28.01.2023
Fünf Stadtduelle haben die Charlottenburger nun in Folge verloren, zum Rückrundenauftakt mit 0:2 (0:1). Mit 14 mageren Punkten steht die Hertha auf Platz 17. Wieder Abstiegskampf. «Gegen Wolfsburg war die Energie tot. Heute haben wir alles gegeben, aber es war nicht genug», sagte Herthas Torwart Oliver Christensen, der als Letzter aus der Fankurve ging.
Mangelnden Einsatz oder Bereitschaft kann den Blau-Weißen anders als bei der heftigen Klatsche gegen den VfL Wolfsburgs (0:5) nicht vorgeworfen werden. Die Spieler waren vor 74.667 Zuschauerinnen und Zuschauern giftig in den Zweikämpfen, piksten Union im Gegenpressing. Aber: Wirklich in Gefahr konnten sie den gefühlt auf Sparflamme agierenden Rivalen nur in den allerwenigsten Situationen bringen. Es fehlte Hertha einfach offensiv an Ideen, Präzision und Durchschlagskraft.
«Die haben zwei Tore gemacht aus zwei Chancen»
Man habe gesehen, dass die Mannschaft kämpfte, «dass wir auch gegen den Tabellenzweiten mithalten können», sagte Mittelfeldspieler Marco Richter. «Unterm Strich haben wir aber wieder eine Niederlage mehr in einem Heimspiel. Das ist umso bitterer.»
Denn es kam, wie es oft in solchen Spielen kommt. Freistoß Christopher Trimmel, Tor Danilho Doekhi (44. Minute). Den ersten vernünftigen Konter nutzte Paul Seguin (67.) zur Vorentscheidung für den Favoriten. «Die haben zwei Tore gemacht aus zwei Chancen, wir hatten auch zwei Chancen, machen aber keine Tore. Das ist der Unterschied in diesem Spiel», sagte Christensen. «Warum wir Zweitletzter sind und Union Zweiter in der Tabelle ist, siehst du ja: Es ist die Effektivität».
Nüchtern betrachtet und abseits aller Derby-Emotionen heißt es: Der Tabellenzweite der Bundesliga gewinnt bei einem Abstiegskandidaten trotz einer mäßigen Leistung mit 2:0. Im Stile einer Spitzenmannschaft.
Union sieht sich nicht als Spitzenmannschaft
Dass Union dieses Prädikat schon verdient hat, das wollte Mittelfeldspieler Rani Khedira nicht sagen. Auch sein Trainer Urs Fischer blieb wie üblich zurückhaltend. Effizient sei seine Mannschaft gewesen. «Wenn ich die ganzen 90 Minuten betrachte, würde ich nicht von Spitzenmannschaft sprechen», sagte der Schweizer. Doch genau das wird diesen nachgesagt. Dass sie auch die Spiele gewinnen, in denen sie nicht nah an ihre Leistungsfähigkeit kommen und aus wenigen Situationen Tore machen.
Die eiskalten Köpenicker bleiben mit nun 36 Punkten erster Verfolger des FC Bayern München. «Das ist schon nicht so verkehrt», wie es Torschütze Seguin im typischen Union-Understatement sagte. «Aber wir wissen, wo wir herkommen. Dass das hart erarbeitet ist, dass wir viel daran feilen.» Über ein neues Saisonziel wird in Köpenick erst nach dem Erreichen der 40 Punkte gesprochen werden, was allerdings nicht mehr allzu lange dauern muss.
Marco Richter stützt Trainer Sandro Schwarz
Im Berliner Westend stellt sich dagegen die Frage, ob die Mannschaft gut genug ist, um die Klasse zu halten. «Natürlich reicht die Qualität, im Moment zeigen wir sie nur nicht. Wir haben schon viele gute Spiele gemacht und die gleichen Spieler sind da», sagte Mittelfeldspieler Marco Richter. «Das ist der Zeitpunkt in der Saison, in dem alles schwer ist.» Auf Coach Sandro Schwarz wollte er nichts kommen lassen. «Wir haben auch ein Riesenvertrauen in den Trainer», sagte der 25-Jährige.
Schwarz sah nach einer «beschissenen Woche» mit Pleiten in Bochum und gegen Wolfsburg immerhin eine verbesserte Leistung. «Dennoch ist uns auch bewusst, dass du in unserer Situation Ergebnisse und Punkte brauchst.»
Zumindest wollen die Unioner ihren Beitrag zum Klassenerhalt des Rivalen leisten, allein der stimmungsvollen Derbys wegen. «Wir versuchen so viele Punkte wie möglich zu holen. Wenn wir der Hertha damit helfen, umso besser», sagte Fischer.(dpa)
Acht Niederländer in einer Mannschaft sind eine tickende Zeitbombe.
— Johan Cruyff über die Situation beim FC Barcelona.